Einleitung
Fabian
Hofmann, Irmi Rauber, Katja Schöwel, 2014
Mit „Führungen, Workshops,
Bildgespräche“ halten Sie ein Buch in
Händen, dessen Quintessenz aus unzähligen Jahren
Berufserfahrung gewonnen wurde: Mehr als dreißig Personen aus
der kunstpädagogischen Praxis haben hier Beiträge zum
Thema Kunstvermittlung im Museum verfasst oder mit ihrem Fachwissen
ergänzt. Die Texte der AutorInnen stützen sich auf
die Erfahrungen aus hunderten Veranstaltungen mit tausenden
BesucherInnen.
Die Bandbreite an Texten umfasst Fallbeispiele aus den Bereichen
Führungen (in ihren verschiedenen Ausprägungen) und
Workshops, jeweils mit unterschiedlichen Zielgruppen. Darüber
hinaus finden sich weitergehende Betrachtungen über
grundlegende Aspekte der Kunstvermittlung wie Rezeptions- und
Kommunikationsprozesse. Die Textformen umfassen Aufsätze,
Berichte, Interviews, augenzwinkernde Glossen und Versuche von
überblickhaften Charakterisierungen. Allen AutorInnen und
ihren Texten merkt man – so hoffen wir – die
Leidenschaft im Ausüben des Berufes an. Die Beiträge
sind unter drei Kapitel-Überschriften gefasst und
können in beliebiger Reihenfolge gelesen werden. Die Kapitel
bilden sozusagen Felder innerhalb des Buches. Eine besondere Form sind
die Kurzinfos, die an wesentlichen Stellen auftauchen und sich
wichtigen thematischen Aspekten noch einmal gesondert widmen.
Die HerausgeberInnen und AutorInnen der Beiträge arbeiten in
der Museumspädagogik. Das bedeutet, dass ihnen der Umgang mit
dem Original wichtig und vertraut ist. Sie haben in unterschiedlichen
Studienfächern ihren Abschluss gemacht. Diejenigen, die
zusätzlich zu Führungen auch Workshops
durchführen, haben in der Regel ein Studium der
Kunstpädagogik oder der freien Kunst absolviert. Die meisten
AutorInnen arbeiten nicht nur an einer Institution und auch nicht nur
am Museum, sondern zum Beispiel auch in Schulen. Diese Erfahrungen
fließen in die Texte mit ein.
„Führungen, Workshops,
Bildgespräche“ ist ein Praxisbuch. Wissenschaftliche
Studien über die konkrete Ausgestaltung und Wirkung von
Führungen, auf die man aufbauen könnte, existieren
kaum. Daher haben wir uns für ein im weitesten Sinne
empirisches Vorgehen entschieden, für Fallbeispiele, und gegen
eine Argumentation aus der Theorie heraus. Wir versuchen stattdessen,
aus der Beschreibung und Reflexion konkreter Vermittlungssituationen
Handlungsempfehlungen zu entwickeln. Die theoretischen Grundlagen aus
Museologie, Kunstgeschichte und Kunstpädagogik bilden die
Arbeitsgrundlage für jeden reflektierten Praktiker und die
Folie, vor der Vermittlung praktiziert wird.
Das Ziel: Aus der Praxis lernen
Mit „Führungen, Workshops,
Bildgespräche“ loten wir das spannende Feld der
Kunstvermittlung im Museum auf eine Weise aus, die bei der
tatsächlich praktizierten pädagogischen Arbeit ihren
Ausgangspunkt nimmt. Da wir die KunstvermittlerInnen selbst zu Wort
kommen lassen, gewinnt der Leser einen authentischen Einblick und
wertvolle Expertentipps. Das Herausarbeiten zentraler Erfahrungen aus
konkreten Begebenheiten, das in allen Texten Prinzip ist, gibt auf
anschauliche Art Hinweise für die eigene Berufspraxis.
Die Professionalität der KunstvermittlerInnen
In den letzten Jahren wenden sich immer mehr Menschen beruflich der
kulturellen Bildung und der Kunstvermittlung zu. In den Museen wurden
zusätzliche Pädagogik-Stellen geschaffen und
entsprechende Volontariate oder Praktikumsstellen eingerichtet. Auch
arbeiten viele AbsolventInnen erziehungs- oder kulturwissenschaftlicher
Studiengänge als AusstellungsführerInnen, manche auch
nur eine Zeit lang, um ihren Wissensstand zu nutzen und auszubauen,
erste Praxiserfahrungen im Umgang mit Gruppen zu sammeln, Museumsluft
zu schnuppern und diesen spannenden Ort als Arbeitsplatz genauer zu
erkunden – unabhängig davon, ob sie in diesem Feld
weiterarbeiten oder andere berufliche Pfade einschlagen.
Viele von Ihnen kommen direkt von der Universität, und es
stellt sich die Frage, wie sich diese KollegInnen zu Beginn ihrer
Arbeit im Museum angemessen vorbereiten können. Vielen ist
bewusst, dass allein eine fachwissenschaftlich-inhaltliche
Qualifikation nicht ausreicht. Und die im
(kunst-)pädagogischen Bereich erworbenen Kenntnisse beziehen
sich meist auf die Schule. So bleibt eine Lücke. Durch das
Lesen von Texten ist diese nicht zu schließen: Auf der Suche
nach Literatur zum Themengebiet der Kunstvermittlung im Museum wird
deutlich, dass der schriftlich fixierte Theoriestand in diesem Bereich
sehr gering ist. Erlernen lässt sich die Tätigkeit
der Kunstvermittlung derzeit offenbar nur von den Praktikern selbst.
Ein Grund mehr also, diese zu Wort kommen zu lassen.
Die KunstvermittlerInnen in den Museen haben sich insbesondere seit den
1990er Jahren professionalisiert: Während vorher in
Führungen weitgehend wissenschaftliche Vorträge
gehalten wurden, haben MuseumspädagogInnen bis heute ein
breites Spektrum von spannenden und zielgruppengerechten
Vermittlungsmethoden ersonnen, erprobt, praktiziert und reflektiert.
Viele von ihnen sind lange Zeit mit unterschiedlichsten Gruppen und in
unterschiedlichsten Museen tätig gewesen. Durch Fortbildungen
haben sie ihre Fähigkeiten weiter entwickelt und durch
Fachverbände, auf Tagungen und in Publikationen wurde ein
reger Austausch untereinander praktiziert. Nun kommt es darauf an, das
Wissen und die Erfahrungen dieser PraktikerInnen für die
nächsten Generationen fruchtbar und nutzbar zu machen. Mit
„Führungen, Workshops,
Bildgespräche“ möchten wir einen ersten
Schritt in diese Richtung gehen.
Erfahrungen aus der Praxis nutzbar machen
Wir möchten etwas anderes bieten als ein Musterbuch. Denn ein
solches wäre für alle, die Führungen im
Museum durchführen möchten, nur
eingeschränkt nützlich: Die konkreten Angebote
anderer Institutionen oder Personen lassen sich nie 1:1 auf die eigene
Arbeit übertragen. Der vorliegende Band will daher aus
vorhandenen Erfahrungen allgemeine Schlüsse ziehen, diese
für die KollegInnen aufarbeiten und unserem Fachgebiet nutzbar
machen. Durch die Lektüre der unterschiedlichen
Beiträge erfahren die LeserInnen anhand der detaillierten
Beschreibung pädagogischer Situationen wesentliche Faktoren
der Kunstvermittlung. Mitunter sind es zunächst unscheinbare
Nebensätze, die letztlich entscheidend zum Potenzial der
berichteten Erfahrungen beitragen. Bei genauer, vielleicht
später wiederholter Lektüre und in Verbindung mit
eigenen Erfahrungen entfalten sie ihren Nutzen. Das Buch kann man sich
insofern auch als eine Manifestation möglicher
Gespräche zwischen KunstvermittlerInnen vorstellen, die sich
über ihre Tätigkeit austauschen – oft ganz
ausdrücklich, manchmal eher nebenbei, gelegentlich schmunzelnd
und stets voller Liebe zur Kunstvermittlung. Liest man mehrere
Beiträge am Stück, wird dieser Dialog
spürbar.
So war auch ein wichtiger Gedanke beim Erstellen des Buches, dass viele
der FührerInnen seit Jahren oder Jahrzehnten ausgezeichnete
(Sprech-)Arbeit leisten, die zwar in den Köpfen der
geführten Personen haftet, damit gleichzeitig jedoch auch in
alle Winde verstreut ist, ohne je an einem Ort fixiert zu sein. In
diesem Buch wird nun ein Teil davon festgehalten. Die Texte der
verschiedenen AutorInnen bewahren Fragmente ihrer Arbeit, machen ihre
Erfahrungen und ihre Professionalität fassbar und liefern
allen Interessierten die Möglichkeit, diese für sich
zu nutzen.
Der Prozess der Entstehung des Buches
Den Bedarf nach einem praxisgerechten Buch zu Führungen,
Workshops und Bildgesprächen haben auch wir am Anfang unseres
Berufslebens gespürt. Im Laufe der Jahre entwickelte sich dann
ein Bewusstsein für die Professionalität der
Vermittler. Und so entstand die Idee, die Lücke in der
Fachliteratur durch ein Buch zu schließen, in dem
PraktikerInnen ihre Vermittlungsarbeit darstellen und reflektieren.
Den Beginn des Buches markierte eine Anfrage an verschiedene
KunstvermittlerInnen aus unserem beruflichen Umfeld, ob sie die eigenen
Erfahrungen ihrer Arbeit verschriftlichen und zu einem Buch
zusammentragen möchten. Die meisten von ihnen arbeiten (auch)
an der Schirn Kunsthalle Frankfurt oder haben einmal dort gearbeitet;
fast alle jedoch sind auch an anderen Institutionen tätig,
viele hat der Berufsweg in andere Städte geführt. Mit
großer Freude und Begeisterung haben sich nahezu alle, die
wir angefragt hatten, an dem Projekt beteiligt.
Von Anfang an trieb uns die Frage um, wie man das Thema
„Führungen, Workshops,
Bildgespräche“ bearbeiten und beschreiben
könnte, insbesondere weil die meisten KunstvermittlerInnen
eher Menschen des gesprochenen als des geschriebenen Wortes sind. So
war der Austausch und der Arbeitsprozess wichtig: Bald fanden erste
Treffen statt, bei denen gemeinsam eine Struktur für das Buch
entwickelt wurde, man sich über die entstehenden Texte
austauschte und sich gegenseitig Hilfestellung gab. Die Ideen
entwickelten, wandelten und konkretisierten sich, die Anzahl der
entstehenden Texte wuchs. Die HerausgeberInnen moderierten den Prozess
der Entstehung und konzentrierten sich auf Verbindungen und
Knotenpunkte. Die endgültige Struktur der vorliegenden
Publikation entwickelte sich aus den Beiträgen selbst. Ein von
Anfang an offen angelegter Prozess findet mit der
Veröffentlichung nun seinen Abschluss.
Die Persönlichkeiten der AutorInnen sind eine wichtige
Grundlage der Beiträge, ihre eigenen Fokussierungen sind
hierin auf den Punkt gebracht und die Sprache der einzelnen
KunstvermittlerInnen ist verschieden in Stil, Form - auch die
Verwendung geschlechtergerechter Begriffe oder die Benennung ihrer
beruflichen Tätigkeit handhaben sie unterschiedlich. So lesen
sich die Texte in ihrer Unterschiedlichkeit besonders lebendig und
abwechslungsreich; und obwohl sie sich nicht konkret und
ausdrücklich aufeinander beziehen, bilden sich thematische
Linien, die sie an unterschiedlichen Stellen miteinander
verknüpfen.
Struktur des Buches und Inhalt
Da ein theoretisch vorstrukturiertes Themenfeld nicht existiert und das
Buch daher in einem offenen und empirischen Prozess entstand, ist die
Struktur des Buches netzwerkartig. Drei Felder haben wir dabei
herausgearbeitet: „Wahrnehmen – Erfahren
– Reden“, „Vermittlung und
Vermittler“ und „Betrachten – Erleben
– Machen“. Die Gliederung in offene Felder passt
aus unserer Sicht zum Feld der Kunstvermittlung, das gleichfalls eher
durch fließende Übergänge als durch klare
Grenzen gekennzeichnet ist.
Alle drei Kapitel beinhalten eine Mischung aus Fallbeispielen und
Reflexionen, im ersten Kapitel mit einem Schwerpunkt auf
Führungen, im letzten mit dem Schwerpunkt auf Workshops, doch
oft über diese beiden Formate hinausgehend, weil sie in enger
Verbindung miteinander stehen oder gar ineinander übergehen.
Das mittlere Kapitel versteht sich als Scharnier, hier geht es um die
Menschen, die Vermittler. Aus diesem Grund finden sich dort auch
Interviews. Wir haben mit fünf erfahrenen Kunstvermittlerinnen
gesprochen und daraus einen Text montiert, der die individuellen
Erfahrungen und Sichtweisen in den Worten dieser Personen wiedergibt.
Im Netzwerk des Buches, in den Feldern bzw. Kapiteln gibt es wie im
Feld der Kunstvermittlung Knotenpunkte. Wir haben versucht, solche zu
identifizieren und herauszuarbeiten. Daher findet sich im Buch an
verschiedenen Stellen eine Kurzinfo zu übergreifenden Themen.
Diese Texte sind besonders knapp und sachlich gehalten und geben
Literaturtipps zur Vertiefung.
Führungen, Workshops, Bildgespräche
– Eine
Eingrenzung
Es ist schwer, im Bereich der Kunstvermittlung die richtigen Begriffe
zu verwenden – die meisten sind nicht klar definiert, und sie
werden unterschiedlich gebraucht (siehe die ausführliche
Begriffsklärung S. ##). Wir möchten daher im
Folgenden näher eingrenzen, dass wir mit den Begriffen
Führung, Workshop und Bildgespräch jeweils ein Feld
bestimmter kunst- bzw. museumspädagogischer Formen meinen.
Führung: Ein Begriff für ein breites
Spektrum
Natürlich sind Führungen (genau wie Praxisworkshops
und Bildgespräche) keine konstanten Gegenstände, die
in jedem Museum gleich zu behandeln und auszuführen sind. Die
Vermittlung von Kunst hängt immer vom jeweiligen
Vermittlungsgegenstand, von der Gruppe, der Situation, der
Führungsperson und vielem mehr ab.
Die AutorInnen haben in unzähligen Ausstellungen –
von Malerei und Graphik über Skulptur und Installation bis hin
zu Film – gearbeitet, von der Klassischen Moderne bis zur
Gegenwart und zurück bis zu den Kelten. Bei den beschriebenen
Führungen handelt es sich meist um eine
kunstpädagogische Form, die sich am Betrachter orientiert.
Hierbei steht nicht das monologische Reden über Kunst im
Fokus, sondern die Führungen enthalten die Aufforderung an die
BesucherInnen, sich mit eigenen Gedanken und Assoziationen
einzubringen. Klassische Führungen im Sinne von
Vorträgen vor den Kunstwerken gibt es natürlich auch:
etwa Öffentliche Führungen oder Führungen
für Erwachsenengruppen, die das explizit wünschen.
Zielgruppen der in diesem Buch beschriebenen Führungen sind
z.B. dreijährige Kinder, Kinder und Jugendliche, SeniorInnen,
HauptschülerInnen, StudentInnen und FirmenmitarbeiterInnen.
Die Gruppen kommen aus den unterschiedlichsten Motivationen heraus ins
Museum. Diese verschiedenen Rahmenbedingungen für eine
Führung potenzieren sich zudem um eine Vielzahl von Wegen der
Vermittlung, die notwendigerweise zu jeder neuen Ausstellung neu
gefunden werden müssen. Und die Führungen
unterschieden sich ganz wesentlich durch die Persönlichkeiten
der KunstvermittlerInnen, die mit ihren pädagogischen wie
fachwissenschaftlichen Überzeugungen, ihrer Biografie und
ihrem Charakter die Art der Führung entscheidend
prägen.
Dass wir dieses breite Spektrum von Vermittlungsformen unter
„Führung“ fassen, hat vor allem
pragmatische Gründe: Trotz des Wissens um die
Unzulänglichkeit dieses Begriffs ist
„Führung“ immer noch die Bezeichnung, die
von den meisten Institutionen und Personen in unserem Feld benutzt wird
und die von den meisten Menschen, insbesondere den Besuchern,
verstanden wird – in dem mehr oder weniger klaren
Bewusstsein, dass sie ein Spektrum überschreibt.
Workshop: nie ohne Zusammenhang zur Führung
Die Praxisworkshops im Anschluss an eine Führung werden
bevorzugt für Kinder und Jugendliche angeboten. Hierbei ist
das vorrangige Ziel, das in der Ausstellung Erfahrene weiter zu
durchdringen. Gewonnene Eindrücke und Erkenntnisse werden in
der Praxis vertieft, das bildnerische Tun trägt entscheidend
dazu bei, die neuen Informationen verstehend zu speichern. Um schon
während des Ausstellungsrundgangs auf die entsprechenden Werke
eingehen zu können, auf die man sich im Workshop
rückbezieht, sollten Führung und Workshop nach
Möglichkeit von ein und derselben Person durchgeführt
und aufeinander abgestimmt werden. Was diese Workshops leisten und wie
sie konzipiert werden, wird in einzelnen Texten des Buches
herausgearbeitet.
Bildgespräch: Betonung der pädagogischen
Form
Um den schwierigen Begriff „Führung“ zu
ergänzen, haben wir den Begriff
„Bildgespräch“ in den Titel einbezogen. Er
macht klar: Die Vermittlungsformen, von denen wir sprechen, finden vor
dem Bild statt – und im Rahmen eines umfassenden Bildbegriffs
sind ebenso Skulpturen, Filme, Installationen und andere Kunstformen
gemeint. Wenn wir vom Bildgespräch reden, wird noch einmal
deutlicher, dass es um eine Vermittlungsform geht, deren Kern das
Gespräch ist. Und wir möchten mit der Verwendung
dieses Begriffes betonen, dass es sich um eine pädagogische
Form handelt. Dazu bedarf es mehr als nur kulturhistorischen
Fachwissens; es erfordert pädagogisches Wissen, eine
pädagogische Absicht und professionelles
pädagogisches Handeln.
Rahmenbedingungen als Einflussfaktoren
In diesem Buch wird die Praxis von Führungen, Workshops und
Bildgesprächen vorgestellt. Insofern sprechen wir nicht von
theoretischen Idealformen, sondern von realen Situationen. Vielerlei
Rahmenbedingungen schränken nämlich das, was
pädagogisch wünschenswert wäre, ein.
So ist an dieser Stelle zu erwähnen, dass Führungen
und Praxisworkshops in der Regel auf eine begrenzte Zeit angesetzt
sind. Niemand möchte mehr als zwei Stunden lang an einer
Führung teilnehmen, und mag sie noch so gut sein. Zudem
bedeutet eine längere Dauer auch höhere Kosten, eine
längere Belegung der Räume, und die an Schulen
übliche Ausflugsdauer würde womöglich
überschritten. So bleibt eine Führung meist auf eine
Stunde beschränkt. Natürlich kann in dieser knappen
Zeit nicht mehr als ein Impuls gegeben, ein prägnanter Aspekt
vertieft werden. Für Schulklassenbesuche richtet sich daher
unser Appell an die LehrerInnen, den Besuch im Idealfall auch als Teil
einer weiterführenden Unterrichtseinheit zu verstehen. In
dieser kann den SchülerInnen die Möglichkeit geboten
werden, die Thematiken der Ausstellungen weiter zu durchdringen und zu
vertiefen, vielleicht gar selbst gewählte Schwerpunkte weiter
zu verfolgen. Allerdings steht und fällt die Einbettung des
Besuches in den Unterricht mit den beteiligten LehrerInnen. Schon die
erneute Betrachtung und Besprechung der entstandenen Arbeiten in der
nächsten Unterrichtsstunde werden den Museumsbesuch aufs Neue
aufrufen und sind daher unbedingt zu empfehlen.
Eine Führung durch eine Wechselausstellung ist eine andere als
in einer ständige Sammlung. Im Wechsel der Ausstellungen sind
immer wieder neue Arbeiten zu vielfältigen Themen zu sehen,
deren Präsentation aber jeweils einer bestimmten
Argumentationskette folgt. Kunstvermittlung in Wechselausstellungen
muss solche vorgegebenen Themenlinien berücksichtigen,
während sie in Sammlungen die oft überbordende
Fülle durch eigene Schwerpunktsetzungen eingrenzen muss.
Ein entscheidender Faktor ist auch der Raum: Seine Gestaltung
prägt die Vermittlung. Durch Atmosphäre, die Abfolge
und räumlichen Bezüge der Werke oder auch die
räumliche Positionierung des Besuchers im Verhältnis
zu den Werken sind KunstpädagogInnen in ihrer
Tätigkeit vorbestimmt.
Führungen finden zudem in bestimmten Institutionen statt und
unterliegen damit ihren historisch gewachsenen und durch
vielfältige Einflüsse entstandenen
Prägungen. Diese institutionelle Rahmung sorgt beispielsweise
dafür, dass Besucher die Kunst im Museum als besonders
wertvoll wahrnehmen, dass sie zurückhaltend agieren
– oder sich oftmals auch klein und unwissend fühlen.
Bei Schulklassenführungen spielt die institutionelle Rahmung
durch die Schule eine Rolle, wenn beispielsweise Lehrer Aufgaben im
Museum stellen und benoten oder die Ausstellung als wichtiges
Abiturwissen bezeichnen.
Nicht zuletzt spielt die Hierarchie von Ausstellung und Vermittlung
eine Rolle. In den meisten Museen ist klar, dass zuerst eine
Ausstellung konzipiert wird und danach erst das
Vermittlungsprogramm. Häufig geschieht dies
unabhängig voneinander und oft sogar ohne Austausch zwischen
Kuratoren und Pädagogen. Zwar wird diese Trennung inzwischen
immer mehr aufgebrochen, je mehr Publikumserwartungen und
-bedürfnisse ernst genommen werden; dennoch ist dies noch
lange nicht Standard. Wer als Vermittler tätig ist, muss dann
mit dem Primat von Inhalt und Objekt arbeiten.
Nicht verschwiegen werden soll ein Faktor, der im Verborgenen
Auswirkungen auf die Vermittlung hat: die Arbeitsverhältnisse
im Museum. Wer Führungen macht, ist in der Regel als freier
Mitarbeiter beschäftigt und somit abhängig von
Aufträgen. Ob er oder sie Arbeit hat, hängt von
vielen Faktoren ab, beispielsweise vom Publikumserfolg einer
Ausstellung oder von der eigenen Qualifikation, manchmal aber auch von
ganz banalen Dingen wie der zeitlichen Verfügbarkeit, dem
eigenen Durchsetzungsvermögen und einem tragfähigen
Netzwerk. Es besteht tendenziell Planungsunsicherheit. Auf Seiten des
Museums besteht ebenfalls Unsicherheit, und zwar in der Frage, ob
geeignete freie Mitarbeiter zu gewinnen sind und ob sie zur richtigen
Zeit verfügbar sein werden.
Los geht’s!
Mit diesem Buch treten wir der Vorstellung entgegen, dass eine
Führung ein fachwissenschaftlicher Vortrag im Gehen ist und
machen deutlich, dass sie eine vielfältige
pädagogische Form ist, die mit Leidenschaft und
Professionalität zielgruppenorientiert umgesetzt werden muss.
Die notwendige immer währende Bereitschaft, sich auf neue
Themenbereiche einzulassen, sich in der eigenen Praxis
weiterzuentwickeln, sich gegen Vorbehalte zu öffnen und den
Wechsel der Ausstellungen als Anlass für die eigene Forschung
zu nutzen, bedeutet für alle KunstvermittlerInnen in Bewegung
zu sein und in Bewegung zu bleiben. Dazu bedarf es einem
Höchstmaß an Leidenschaft für die Sache.
Der Lohn für diese Arbeit kommt häufig direkt in der
Anerkennung der BesucherInnen und indirekt und Zeit verzögert
in der Erkenntnis, dass die Vermittlungsarbeit sich über die
Jahre zu runden Bögen schließt. Sie
ermöglicht Erfahrungen im Umgang mit Epochen, Kunstwerken,
BesucherInnen und Situationen, die Theorie alleine niemals in der Lage
wäre, zu vermitteln. Indem wir auf diese Weise kontinuierlich
tätig sind, arbeiten wir mit anderen und anderem und an uns
selbst.
Wer Kunstvermittlung unter diesen Vorzeichen sieht und die Erfahrungen
liest, die in diesem Buch niedergeschrieben sind, mag zu der Erkenntnis
kommen: Das Reden über Kunst muss getan werden, auch wenn es
in Anbetracht der Vielzahl an Sichtweisen, Methoden und Bezugspunkten
mitunter unmöglich scheint und gerade weil es eigentlich
unmöglich ist. Los geht’s!
Zitationsvorschlag:
Hofmann, Fabian; Rauber, Irmi; Schöwel, Katja:
Einleitung
In: Hofmann,
Fabian; Rauber, Irmi; Schöwel, Katja (Hg.):
Führungen, Workshops,
Bildgespräche. Ein Hand- und Lesebuch zu Bildung und
Vermittlung im
Kunstmuseum. München: kopaed, 2014. S. 10-18
zu bestellen hier
als
eBook hier