Unscharfe Begriffe: Die Führung und andere Bezeichnungen für Vermittlung

 Fabian Hofmann, 2014

Im Feld der Kunstvermittlung kursieren unterschiedliche Begriffe für die Arbeit vor dem Werk – von „Führung“, „Führungsgespräch“, „Bildgespräch“, „Vermittlung“ und noch vielem mehr ist hier die Rede. Die Begriffsfindung ist tatsächlich schwierig: Der Begriff „Führung“ ist sehr vorurteilsbesetzt; man vermutet darunter eine langweilige, trockene Veranstaltung. Manche unterscheiden von ihr daher das „Führungsgespräch“ (Czech 2007) und betonen, dass mit diesem Begriff eine eher dialogische Form der Vermittlung gemeint ist. Nicht der Vortrag von Fachwissen steht dabei im Vordergrund, sondern ein gemeinsames Erarbeiten von Inhalten. Solche Vermittlungsformen sind eher partizipativ; der Besucher hat Anteil an der Vermittlung und kann Art und Inhalt der Veranstaltung mitbestimmen. Aus Sicht einer kritischen Kunstvermittlung (Mörsch 2012) ist dies ein entscheidender Punkt. Vertreter dieses Ansatzes lehnen den Begriff „Führung“ ab, weil dahinter oft auch affirmative und instruktive Konzepte von Kultur und Pädagogik stehen. Die Benennung desjenigen, der Führungen macht, als „Führer“ (und dies erstaunlich oft auch dann, wenn sie eine Führerin ist), macht dieses Problem offensichtlich.
In der Museumspädagogik wird schon immer versucht, diesem Verdacht entgegenzuwirken. Insbesondere der Begriff „Bildergespräch“ (z. B Sprigath 1986) sollte verdeutlichen, dass es bei der gemeinten Aktion nicht um einen allgemeinen kulturhistorischen Vortrag geht, sondern darum, gemeinsam im Gespräch und direkt am Bild zu arbeiten (Lichtwark 1909). Diese pädagogisch angeleitete Kunstrezeption wird damit auch von wissenschaftlichen Methoden der „Bildanalyse“ abgegrenzt, die beispielsweise in der Kunstgeschichte angewendet werden.
In der Kunstpädagogik wird mit dem Begriff „Bildgespräch“ (Uhlig 2011) eine Vermittlungsform beschrieben, bei der das Sprechen als Prozess zentral ist, weil das Suchen nach Begriffen, die Verständigung über Eindrücke, Empfindungen und Erkenntnisse einen wichtigen Teil der Kunstrezeption ausmacht.
Sehr häufig wird der Begriff „Vermittlung“ benutzt. Dieser vermeidet den Begriff „Pädagogik“, der üblicherweise mit der Unterweisung von Kindern gleichgesetzt wird und damit nur eine beschränkte Zielgruppe umfasst. Selten ist Vermittlung genauer definiert. Kritiker warnen, dass mit diesem Begriff ein mechanisches Verständnis geweckt wird, bei dem auf der einen Seite die Kunst, auf der anderen der Betrachter und dazwischen eben der Vermittler steht. Dies erscheine dann als eine einseitige Übermittlung der ‚richtigen‘ Botschaft, als ob das Werk an den Mann bzw. die Frau gebracht werden müsse, weil diese zu dumm seien, sich die Arbeiten selbst zu erschließen. Andere weisen zudem darauf hin, dass eine ‚gelungene‘ Vermittlung zwischen Bild und Betrachter prinzipiell unmöglich sei: Nach konstruktivistischem Verständnis gibt es nicht ‚das‘ Bild, sondern unterschiedlichste Sichtweisen auf ein Bild. Und ebenso gibt es nicht ‚den‘ Betrachter, sondern ein menschliches Gefüge aus unterschiedlichsten körperlichen, geistigen, emotionalen, sozialen und kulturellen Zusammenhängen. Man müsse also eher von Prozessen sprechen und die Differenz und Unüberbrückbarkeit von Widersprüchen betonen (Kade/Seitter 2003, Sturm 2011), insbesondere bei der Kunst, die sich jeder Vermittlung entziehe. Vermittlung könne allenfalls ein Versuch sein; ihr Gelingen sei kontingent und unabhängig vom Vermittler.
Die Vielzahl der schwierigen Begrifflichkeiten hat bewirkt, dass einige Museen in der Beschreibung ihres Vermittlungsprogramms Fachbegriffe ganz vermeiden. Veranstaltungen heißen dann „Talk“, „Art after Work“, „Zankduett“, „Kunstgenuss“ oder „Salon“.
Weil diese Vielfalt an Begriffen in der Praxis existiert, wollen wir sie in diesem Buch, das ja die Praxis spiegeln will, erhalten. Entsprechend haben wir es den AutorInnen überlassen, diejenigen Begriffe zu wählen, die ihnen geeignet erscheinen, um sie in ihrem Sinne zu verwenden. In den übergeordneten Abschnitten, etwa in dieser Einleitung, verwenden wir den Begriff „Führung“ für die konkrete Veranstaltungsform, (Kunst)„Vermittlung“ für das Feld (im Bewusstsein der Unvermittelbarkeit), „Museumspädagogik“ für das Fach mit seinen Institutionen und Orten (die sich nicht nur mit Kindern, sondern mit allen Altersgruppen beschäftigen). Den Begriff „Museum“ verwenden wir übergreifend für alle Kunstvermittlungsinstitutionen, seien es Kunsthallen (die keine ständige Sammlung besitzen), Museen, Kunstvereine oder ähnliche Ausstellungsorte.

Zum Weiterlesen:
Czech, Alfred: Führung – Führungsgespräch – Gespräch. In: Wagner, Ernst; Dreykorn, Monika (Hg.): Museum, Schule, Bildung. München 2007, S. 161-162
Kade, Jochen; Seitter, Wolfgang, 2003: Von der Wissensvermittlung zur pädagogischen Kommunikation. Theoretische Perspektiven und Befunde. In: Zeitschrift für Erziehungswissenschaft 6 (4), S. 602–617.
Lichtwark, Alfred: Übungen in der Betrachtung von Kunstwerken. Berlin 1909.
Mörsch, Carmen: Am Kreuzungspunkt von vier Diskursen: Die documenta 12 Vermittlung zwischen Affirmation, Reproduktion, Dekonstruktion und Transformation. In: dies. (Hg.): Zwischen kritischer Praxis und Dienstleistung auf der documenta 12. Zürich 2009, S. 9-34.
Sprigath, Gabriele: Bilder anschauen, den eigenen Augen trauen. Bildergespräche. Marburg 1986
Sturm, Eva: Von Kunst aus. Kunstvermittlung mit Gilles Deleuze. Wien 2011.
Uhlig, Bettina: Bildgespräche mit Kindern. Überlegungen zur Methodik und Didaktik des dialogischen Bildverstehens. In: Kirschenmann, Johannes (Hg.): Reden über Kunst. München 2011, S. 349–371

 


Zitationsvorschlag:

Hofmann, Fabian: Subjekt - Objekt / Aneignen - Vermitteln
In: Hofmann, Fabian; Rauber, Irmi; Schöwel, Katja (Hg.): Führungen, Workshops, Bildgespräche. Ein Hand- und Lesebuch zu Bildung und Vermittlung im Kunstmuseum. München: kopaed, 2014, S. 20-21

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