Mit Kita-Kindern Kunst entdecken.
Begegnungen mit Kunstwerken als bildende Erfahrungen

Fabian Hofmann, 2015

 

Bei der Begegnung von Kindern mit Kunst geht es um die Ermöglichung bildender und identitätsstiftender Erfahrungen an, mit und durch Kunst (z.B. Peez 2015, Dietrich et al. 2013, Peez 2007,).  Es soll weder eine Kunstgeschichts-Vermittlung sein noch eine ‚Erziehung zum Künstler‘. Vielmehr geht es darum, dass Kinder besondere, nämlich ästhetische Erfahrungen machen können. Kunst hat eine einzigartige Stärke, solche Erfahrungen anzustoßen. In der Begegnung mit Kunst, so wird in diesem Beitrag argumentiert, sollen ästhetische Erfahrungen ermöglicht werden, und diese sollen bildend wirken. Dazu ist es nötig, solche intensiven Erfahrungen zu machen, sich ihrer bewusst zu werden, sie wirksam werden zu lassen und sich darüber auszutauschen.

Was kann Kunst? Wesen und Möglichkeiten „echter“ Kunst

Wenn es um Kunst geht, so ist natürlich echte Kunst gemeint.  Die Forschung zeigt, dass echte Kunst eine Wirkung hat (zur Übersicht: Hofmann 2015), die Reproduktionen nicht leisten. Kunst ist aktiv; Kunst bezieht ihre Betrachter mit ein, Kunst macht etwas mit uns (Sturm 1996).

Natürlich schätzt man an Kunstwerken auch die „handwerkliche und gestalterische Qualität, die Ausdruckskraft, die Bedeutungshaltigkeit ihrer Inhalte, die Wirksamkeit ihres Kommunikationspotentials, die ‚seismografische‘ Wahrnehmung zeitgeschichtlicher Veränderungen, die trickreiche Etikettierung als ‚Kunst‘“ (Uhlig/Wahner 2012:1). Zudem weisen Kunstwerke aber eine Materialität und Sinnlichkeit auf. Ein Bild ist nämlich mehr als ein Motiv: Echte Kunst steht uns als Gegenstand gegenüber, bildet einen Gegenpol, bietet sich als Reibungsfläche an.

Wer Menschen, insbesondere Kinder, bei der Kunstbetrachtung beobachtet, erkennt auch schnell, dass Kunstrezeption kein passiver Prozess ist. Kunstrezeption ist eine Aktivität (insb.: vom Lehn 2011, Mohn 2008): Wir gehen heran und herum, zeigen oder lassen uns etwas zeigen, tauschen uns mit anderen aus – und vieles mehr.

Weitergehend ermöglicht Kunst, etwas wahrzunehmen und gleichzeitig sich selbst im Prozess des Wahrnehmens wahrzunehmen. Wir erfahren uns dabei, wie wir die Welt sehen, was wir dabei empfinden, was mit uns passiert. Möglicherweise stört Kunst dabei gewohnte Muster, überschreitet Grenzen, überwältigt uns (Dietrich et al. 2013, Peez 2015). Dies führt in manchen Situationen dazu, dass wir nicht nur die Kunst, sondern gar die Welt neu denken.

Kunst drängt ferner dazu, die gemachten Erfahrungen mitzuteilen. Sie bringt uns dazu, mit anderen zu klären, was da gerade passiert. Die (meist unausgesprochene Frage) an das Kunstwerk wie auch an die Gesprächspartner lautet: „Sage mir etwas über mich“ (Sturm 2010). Solche Begegnungen mit Kunst sind unglaublich intensiv und intim.

Erkunden oder zeigen lassen?

Wo und wie sollen Kinder Kunst erleben? In einem klassischen Museum? In einem Skulpturenpark, in dem man an der frischen Luft spazieren geht und ab und zu mit Kunst in Begegnung tritt? An alltäglichen Orten, einer Ausstellung im Café, in der Sparkasse, beim Arzt oder im Rathaus? Eine Vielzahl von Möglichkeit eröffnet sich dem, der echte Kunst erleben möchte. An unterschiedlichen Orten hat die Museumspädagogik (die heute oft Kunstvermittlung, Bildung oder Besucherservice heißt) ein breites Spektrum von zielgruppengerechten Vermittlungsmethoden ersonnen, erprobt, praktiziert und reflektiert (Hofmann et al. 2014). Oder man verzichtet auf diese Angebote, erkundet als Gruppe gemeinsam die Werke, begibt sich also auf eine Expedition und entdeckt Ungeahntes.

Welche Kunst ansehen? Kindliche Bildpräferenzen

Eine geeignete Auswahl der zu betrachtenden Werke wird in der Kunstpädagogik als wichtig erachtet. Die Forschung zeigt, „dass Kinder sich für Kunstwerke interessieren, die für den einzelnen lebensweltliche Bezugspunkte aufweist“ (Uhlig/Wahner 2012: o.P.). Dies kann als Plädoyer verstanden werden, mit Kindern insbesondere moderne und zeitgenössische Kunst zu betrachten. Diese Kunst ist näher am Heute, näher an den Erfahrungen und Fragen unserer Zeit – und damit interessanter.
 

Sprechen mit/über/anlässlich von Kunst

Ein intensives Gespräch mit Kunst findet am besten direkt vor Kunstwerken statt, und natürlich kann es nicht als Monolog des Pädagogen funktionieren. Im gemeinsamen, genauen Betrachten und Benennen entsteht ein Dialog, bei dem Kinder durch eine pädagogische Gesprächsführung zu intensiver Betrachtung und Kunstgenuss geführt werden. Man kann solche Gespräche durchaus als Tasten und Suchen praktizieren. Gerade „im Engpass der Worte“ (S.-Sturm 1996), also dort, wo die Sprache nicht auszureichen scheint, ereignen sich bildende Situationen.

Entscheidend bei der pädagogischen Kunstkommunikation  ist der Unterschied von Aneignung und Vermittlung (Hofmann 2015). Während auf Seiten des Pädagogen Vermittlung betrieben wird, findet auf Seiten der Teilnehmer Aneignung statt. Diese beiden Handlungen unterscheiden sich grundlegend: Vermittlung ist weitgehend sprachlich, unidirektional und hierarchisch. Demgegenüber ist Aneignung eine körperliche Aktivität, verbunden mit ästhetischen Erfahrungen, und sozial eingebettet. Diese Differenz mittels didaktischer ‚Methoden‘ und spezieller ‚Techniken‘ aufheben zu können ist nicht zu erwarten. Vielmehr geht es darum, die Differenz als etwas Positives zu verstehen. Es geht darum, im Bildgespräch einen Ort zu schaffen, an dem sprachliche Vermittlung und körperliche Aneignung zusammenkommen können. Pädagogen sind somit gefordert, ein Zusammen-Spiel von Aneignung und Vermittlung zu inszenieren.

Gestalten oder Moderieren?

Wer als Pädagoge intensive Bildgespräche anstoßen will, gestaltet ein Setting. Darauf kann man sich vorbereiten: Kunstwerke, räumliche Gegebenheiten, Lichtstimmung, Geräuschpegel, Sitzgelegenheiten und vieles mehr – durch das Einbeziehen dieser Elemente lässt sich viel bewirken. Vor allem aber gewinnt der Pädagoge dabei Selbstsicherheit für die Gesprächssituation. (einige Tipps zur Vorbereitung eines Museumsbesuchs finden sich in Czech 2007). Andere Pädagogen wollen vielleicht gar nicht alles vorher wissen, sondern eher entdecken. Bildgespräche entwickeln nämlich oft eine Eigendynamik, die man „nur“ noch moderieren muss. Dann ist es entscheidend, diese entdeckende, abenteuerlustige Haltung bei allen Teilnehmern zu stimulieren.

 

Sprechen mit/über/anlässlich von Kunst als Bildungsprozess

Wer als pädagogische Fachkraft die Begegnung mit Kunst als Bildungsprozess gestalten will, muss also Aneignung und Vermittlung zusammenkommen lassen. Das bedeutet, einen Erfahrungsraum zu inszenieren, eine Situation zu gestalten, durch ein pädagogisches Setting Erfahrungen zu ermöglichen. Die pädagogische Kunst besteht darin, nicht ein kontrolliertes Programm durchzuführen, sondern die Begegnung mit Kunst zu einem „lebendigen Wesen“ (Schöwel 2014) werden zu lassen. Konkret bedeutet das:

- gemeinsam beschreiben, was man sieht – aber auch wie man sieht, was man damit verbindet, was es mit einem macht.

- in einen Austausch kommen, berichten, zeigen, weiterdenken, sich einfühlen und sich ausdrücken.

- nicht nur reden, sondern auch tun: herumgehen, unterschiedliche Perspektiven einnehmen, räumliche Zusammenhänge erkunden, mit Dingen hantieren, etwas nachstellen oder nachbauen, Notizen oder Skizzen machen …

Pädagogische Kunstkommunikation bedeutet somit, dass alle Beteiligten (Pädagoge, Teilnehmer, Kunst) die Situation mitgestalten. Daher ist der Verlauf auch unabsehbar, dynamisch, produktiv. Das  baut auf ästhetischen Erfahrungen auf; schließt das Suchen und Ringen nach Worten ein; zeichnet sich aus durch Hier-Sein (Lange 2013), im-Leben-Sein, mit-Haut-und-Haaren-Da-Sein aller Beteiligten, auch Da-Sein des Kunstwerkes. Von den pädagogischen Fachkräften erfordert es Lust an der Begegnung, Aufmerksamkeit für die Situation, und ein sensibles und kluges, vielleicht gewitztes Vorgehen. So lassen sich in der Begegnung mit Kunst Situationen gestalten, in der bildende Erfahrungen gemacht werden.

 

 

Literatur:

Czech, Alfred (2007). Führung-Führungsgespräch-Gespräch. In E. Wagner & M. Dreykorn (Hrsg.), Museum, Schule, Bildung. Aktuelle Diskurse innovative Modelle erprobte Methoden (S. 161–162). München: kopaed.

Dietrich, Cornelie, Krinninger, Dominik & Schubert, Volker (2013). Einführung in die ästhetische Bildung (2. Aufl.). Weinheim [u.a.]: Beltz Juventa.

Hofmann, Fabian (2015). Pädagogische Kunstkommunikation zwischen Kunst-Aneignung und Kunst-Vermittlung. Fallspezifische empirische Untersuchungen zu zwei Schulklassen und einer Kita-Gruppe in Kunstausstellungen. München: kopaed.

Hofmann, Fabian, Rauber, Irmi & Schöwel, Katja (Hrsg.) (2014). Führungen, Workshops, Bildgespräche. Ein Hand- und Lesebuch zu Bildung und Vermittlung im Kunstmuseum. München: kopaed.

Lange, Marie-Luise (2013). I’m here – ästhetische Bildung als Präsenz, Ereignis, Kommunikation, Aufmerksamkeit und Teilhabe. Hamburg: Hamburg Univ. Press.

Mohn, Bina Elisabeth & Wartemann, Geesche (2008). Wechselspiele im Experimentierfeld Kindertheater. Göttingen: Institut für visuelle Ethnographie.

Peez, Georg. (2012). Einführung in die Kunstpädagogik (4. Aufl.). Stuttgart: Kohlhammer.

Peez, Georg. (2015): Entwicklung und Bildung in der Frühen Kindheit: Kinder zeichnen, malen und gestalten. Kunst und bildnerisch-ästhetische Praxis in der KiTa. Stuttgart: Kohlhammer.

Schöwel, Katja (2014). Die Führung als lebendiges Wesen. In Hofmann et al. 2014 (S. 34–37).

S.-Sturm, Eva. (1996). Im Engpass der Worte. Sprechen über moderne und zeitgenössische Kunst. Berlin: Reimer.

Sturm, Eva (2010): Wie man anlässlich von Kunst sprechend zu Wissen kommen kann. Und was das mit Kunstvermittlung zu tun hat. Online verfügbar unter http://www.kunstlinks.de/material/peez/2010-11-sturm.pdf, zuletzt geprüft am 3.8.2015

Uhlig, Bettina (2005). Kunstrezeption in der Grundschule. Zu einer grundschulspezifischen Rezeptionsmethodik. München: kopaed.

Uhlig, Bettina und Wahner, Stephan (2012): Kunstpädagogische Kunstvermittlung. Online verfügbar unter http://kulturmanagement.net/frontend/media/Magazin/km1205_Langfassung_Beitrag_Uhlig_Wahner.pdf, zuletzt geprüft am 3.8.2015.

vom Lehn, Dirk. (2011). Interaktion an und mit Ausstellungsstücken: video-basierte Analysen in Museen. Standbein/Spielbein(91), 46–51.





Zitationsvorschlag:

Hofmann, Fabian (2015): Mit Kita-Kindern Kunst entdecken. Begegnungen mit Kunstwerken als bildende Erfahrungen. In: TPS - Leben, Lernen und Arbeiten in der Kita (5), S. 26–28.