Von Kunst aus, mit Kunst und um Kunst herum: Bildsprache und Bildgespräche.

Fabian Hofmann, 2013

Bilder sprechen, und zwar auf vielfältige Weise: Bilder erzählen Geschichten, Bilder verströmen Gerüche, Bilder wecken Erinnerungen ... Bilder sind also aktiv – und haben somit ein enormes Potential für die kunstpädagogische Arbeit in Kita, Schule und darüber hinaus. Der Beitrag lädt dazu ein, der Bildsprache zu lauschen und die verschiedenen „Sprechweisen“ von Kunst zu entdecken. Im Sinne einer Angewandten Kunstpädagogik wird dann in einem zweiten Schritt danach gefragt, auf welche Weise(n) die Sprache der Dinge reflektiert werden kann: Von und mit Bildern kann man reden, reimen, singen, spielen, zeichnen, sammeln, bauen, scherzen, denken und vieles mehr. Beispiele aus der Praxis mit Kindergartenkindern und Schülern direkt im Museum geben einen Einblick in die Möglichkeiten der Arbeit mit dem Original und ermutigen dazu, originale Kunst als Ausgangspunkt kunstpädagogischer Arbeit zu nutzen.

 

Kunst spricht? Bildsprache und Bildgespräche

Wenn es im Rahmen dieser Tagung und dieses Tagungsbandes um Bildsprache geht, möchte ich in meinem Beitrag auf den Vorgang des Sprechens eingehen. Des Sprechens von Kunst, die uns etwas zu sagen hat; die Kindergartenkindern, Schülern, Studierenden, Erwachsenen etwas zu sagen hat. Und die uns zum Sprechen bringt (vgl. Sturm 1996, Peters 1996), zum Erzählen, und manchmal auch zum Stottern und Stammeln.

Wenn ich hier von Bildsprache rede, gehe ich von einer aktiven Kunst aus, von Bildern, die von sich aus tätig werden. Was damit gemeint ist, möchte ich im Folgenden an einem Bild-Beispiel zeigen – und ich möchte vor allem Beispiele vorstellen, wie man pädagogisch damit umgehen kann. Denn natürlich geht es nicht darum, den sprechenden Bildern nur passiv zuzuhören, sondern aktiv damit umzugehen; einen Dialog mit dem Bild zu führen (vgl. hierzu auch Bettina Uhligs Ausführungen zum „Bildgespräch“ in Uhlig 2011) und andere zum Sprechen von Kunst aus, mit Kunst und um Kunst herum anzuregen (Sturm 2011). „Sprechen“ ist hier wiederum bildlich gemeint.

Delacroix wird aktiv

Ein kunstgeschichtlicher Klassiker mag dies anschaulich machen: „Die Freiheit führt das Volk“ von Eugène Delacroix. Wir schreiben das Jahr 1830, Delacroix ist bereits ein etablierter Künstler, und in Frankreich herrscht Unruhe. Nach Revolution und Restauration ist die Unzufriedenheit mit König Karl X. groß, und im Juli bricht eine neue Revolution aus. Delacroix ist dabei (aber nicht auf den Barrikaden, er schiebt er Wachdienst im Louvre). Sein Gemälde fertigt er kurz nach der Revolution, es ist also ein Bild der Revolution; doch es ist nicht schnell und aus spontanem Antrieb entstanden, ist es kein Abbild, kein Bericht aus der damaligen Situation; sondern es wurde sorgfältig vorbereitet. Delacroix greift dabei auf alte Überlegungen zurück, unter anderem auf Studien zu „Griechenland auf den Trümmern von Missolunghi“, das seit 1820 vorbereitet wurde. Es ist also eine lange Planung am Thema Befreiung zu erkennen. Und das Bild ist richtiggehend konstruiert: Die Komposition, so kennt man es auch aus vielen Schulbüchern, ist ganz klar. Es gibt eine Dreiecksstruktur, an deren Spitze die Allegorie der Freiheit steht, und es gibt drei dominante, sich ständig wiederholende Bildfarben, nämlich rot weiß-blau, die Farben der Revolution. Die Figuren im Bild gehören dem einfachen Volk an, sie sind Fabrik- und Saisonarbeiter, Handwerker, und natürlich Soldaten des Königs. Ihre Uniformen und Waffen hat Delacroix präzise und korrekt dargestellt, und ihre Haltungen sind wohlüberlegt komponiert (was man insbesondere an dem Toten im Vordergrund erkennt, der an die klassische Historienmalerei eines David oder Gros angelehnt ist).

Delacroix verwirrte mit dem Gemälde Kritik und Publikum. Es gab Proteste gegen die Darstellung der Figuren (Verbrechervisagen! Abschaum der Gesellschaft!) und gegen die derbe Nacktheit (Behaarte Achsel!). Gleichzeitig kaufte der Staat das Werk sofort an (ein Zeichen der Wertschätzung?) und verbannte es doch ziemlich schnell ins Archiv. Eine seltsam aufregende Rezeption. Warum nur erregt das Bild so sehr?

Wolfgang Kemp hat mit seiner Rezeptionsästhetik wichtige Hinweise dazu gegeben (Kemp 1985): Das Bild macht etwas mit uns, mit den Betrachtern. Delacroix‘ „Freiheit“ hat eine Stoßrichtung, und diese Stoßrichtung richtet sich… gegen uns. Man kann es genau erkennen: Der Junge und der Mann im Hintergrund fixieren mich, den Betrachter; andere Figuren blicken neben mich… ich bin also nicht allein, ich gehöre zu einer Gruppe, zu einer Partei. Und die Revolutionäre ziehen auf uns zu. Es gibt eine Konfrontation, ich bin Betroffener (das ist das Aufregende an dem Bild), es wird etwas passieren.

Delacroix erzählt also nicht mit seinem Bild, er geht weiter, geht in die dritte Dimension: Er zerstößt die Bildfläche. Er legt keine Tiefenzüge innerhalb des Bildes an, stattdessen nur bildparallele Schichten, selbst die Toten im Vordergrund liegen bildparallel. Die Perspektive als Möglichkeit, das Bild zu beherrschen, nimmt er uns – wir Betrachter ‚kommen nicht weit‘. Der Künstler greift in die Positionsbestimmung des Betrachters ein, setzt uns einer Situation aus: Die Revolution tobt, kommt auf uns zu, und es gibt nur zwei Möglichkeiten: Wir können uns der Revolution anschließen, oder wir werden überrannt.

In diesem Bild gelingt es dem Künstler, mit seinem Bild räumlich mit uns zu „sprechen“, uns anzugehen, auf uns zuzugreifen, uns einzubeziehen.

Kunst hören, Kunst essen

Das ist nur eines von vielen denkbaren Bild-Beispielen. Bilder können ganz unterschiedlich sprechen, und der Reichtum und die Vielfalt der Kunst zeigen uns dies immer wieder. Beispiele gibt es genug: (Abb. 2a-2d) Wer in dieser Art und Weise Werke der bildenden Kunst betrachtet, findet unter anderem: 

- sinnliche Bildinhalte und aufregende Materialien, die uns ansprechen: fass mich an, hör mich, rieche mich, esse mich;

- Farbigkeit,  die unser Auge in Bewegung versetzt;

- Inhalte, die unser Herz bewegen, Begehren wecken;

… man könnte immer so weiter machen. Kunst hat das Potenzial, auf höchst unterschiedliche Weise mit uns zu „sprechen“.

Wir haben mehr als zwei Ohren

Und so wie Kunst auf unterschiedliche Weise „spricht“, so „hören“ wir ja auch auf unterschiedliche Weise. Anschaulich macht dies Friedemann Schulz von Thun in seinem bekannten Kommunikationsmodell (vgl. Schulz von Thun 2010): Wir sprechen mit verschiedenen Schnäbeln und hören mit verschiedenen Ohren. Neben dem rein sachlichen Inhalt hören wir beispielsweise auch etwas über die Persönlichkeit des Sprechers und über die Beziehung zu ihm. Und wir verstehen jede Äußerung auch als einen Appell an uns, als Auftrag oder Aufforderung. Je nach Persönlichkeit, Thema und Situation hören und sprechen wir mehr in der einen oder anderen Weise. In der kunstpädagogischen Praxis kennt man das: Man bringt Menschen, die mit bestimmten Ohren hören, zu Kunstwerken, die mit bestimmten Schnäbeln sprechen, und plötzlich passiert etwas. Vielleicht haben Sie solche Situationen auch in Erinnerung… man geht mit einer Gruppe vor ein bestimmtes Bild, und schon geht etwas los. Mag sein, dass es Widerstand ist oder Protest, aber es geht los. Und als Kunstpädagoge ist es dann „nur“ noch die Aufgabe, diesen Dialog zu moderieren. (Das ist nicht einfach, oder besser gesagt: Das erfordert ein professionelles Arbeiten. Aber dafür sind wir ja da.) Und deswegen möchte ich an dieser Stelle dieses Vorgehen nahelegen: Bringen wir Schüler, Kindergartenkinder, Studierende, Erwachsene - wen auch immer -,  mit Kunst direkt zusammen! Es muss keine Hochkunst sein, es kann eine kleine Ausstellung in der Sparkasse sein. Wenn Kunst und Zielgruppe zusammenpassen und sich etwas zu sagen haben, dann entstehen wunderbar tiefe, spannende und inspirierende Momente.

Andere Ohren, andere Bilder. Vorbereitungen für Bildgespräche

Bilder sprechen Am Anfang steht natürlich die Frage, was ein konkretes Werk sagt. Bei dem Versuch, ein Kunstwerk didaktisch zu nutzen und einer Zielgruppe zu ermöglichen, ihm näher zu kommen, ist es häufig sinnvoll, sich auf wenige Kernpunkte zu beschränken. Es kommt also darauf an, aus dem komplexen „Sprechen“ eines Werkes einige zentrale Themen herauszufiltern. Das können inhaltliche Aspekte ebenso sein wie formale, rezeptionsbezogene, körperliche oder andere. Einen Anfang dazu bietet das Schema, angelehnt an Kirschenmann/Schulz 1999), das man nutzen und weiterbearbeiten kann: Einige Begriffe und Themenfelder sind genannt, und viele weitere lassen sich ergänzen. Wer also die Kernthemen eines Werkes herausarbeiten möchte, kann mit kunsthistorischen Methoden der Werkanalyse dahin kommen, einige wenige Begriffe im Schema auszuwählen. Bei Delacroix‘ „Freiheit“ könnte man sich vorstellen, dass es um »Betrachter« und »Bewegung« geht, vielleicht auch um »Gesellschaft«, oder um »Raum«, möglichweise um »Narration«… ein intensives individuelles Gespräch mit dem Werk mag es ans Licht bringen.

links: Schema zur Werkanalyse, das selbst ergänzt und weitergeführt werden kann (und muss)

Dann folgt die kunstpädagogische Arbeit. Denn wie lässt sich beispielsweise »Bewegung« , »Betrachter« und »Gesellschaft« umsetzen? Wie kann man den Dialog zwischen Betrachtergruppe und Werk im Hinblick auf diese Themenfelder unterstützen, erleichtern, intensivieren?
Und wie kann man dies so unterstützen, dass ein Bild, das beispielsweise mit einem „Farb-Schnabel“ spricht, nicht mit dem „Vernunft-Schnabel“ besprochen werden muss? Also wie gelingt es, jenseits kognitiv-sprachlicher Zugangsweisen auf andere Weise von Kunst aus, mit Kunst und um Kunst herum zu „sprechen“?
Ein paar Beispiele aus der kunstpädagogischen Praxis sollen dies veranschaulichen. Es sind Beispiele von Kunst und Beispiele von pädagogischen Vorgehensweisen mit dieser Kunst und mit bestimmten Zielgruppen; manchmal ganz einfache, manchmal etwas umfangreichere. (Und natürlich gibt es eine Vielzahl anderer Vorgehensweisen, die man ebenso hätte wählen können.) Die Beispiele wurden mit KollegInnen aus der Schirn Kunsthalle Frankfurt, den Beruflichen Schulen Berta Jourdan (Erzieher-Ausbildung), der Justus-Liebig-Universität Gießen und zahlreichen Frankfurter Schulen gemeinsam entwickelt und umgesetzt. Sie zeigen ganz unterschiedliche Kunst, ganz unterschiedliche Zielgruppen - und entsprechend auch ganz unterschiedliche Vorgehensweisen.

Farbenspiel mit Edvard Munch (Grundschule)

Eine Ausstellung über Edvard Munch legt natürlich nahe, die Prinzipien des Expressionismus in den Mittelpunkt zu stellen, die besondere Farbigkeit beispielsweise und die Ausdruckskraft von Farbe. Munchs Gemälde „Die Sonne“ zeigt eine Sonne, die über einer weite Landschaft nicht nur strahlt, sondern ihre Strahlen geradezu hinausschießt. Es sind harte Striche, klar begrenzt und in grellen, kontrastierenden Farben gesetzt. Über Eck daneben gehängt wurde „Sternennacht“, eine winterliche Nachtlandschaft, deren Farbigkeit übersteigert ist, mit rosafarbenem Licht auf dem Schnee und grünlichen Sternen – und dennoch sanft und ruhig wirkt.

Die Grundschüler sitzen zwischen den beiden Bildern, sehen diese bunten Landschaften, auf der einen Seite mit strahlendem Sonnenschein, auf der anderen Seite mit funkelnden Sternen. Kräftige Farben leuchten überall. Auch auf dem Boden, denn dort liegen stapelweise farbige Kärtchen. Nahezu alle Farben sind dabei: Rot zum Beispiel, Schwarz, Türkis und viele mehr. Und es sind sehr viele Karten. Sie sind dazu da, die Farben in den Bildern zu „sortieren“: Welche Farben finden sich in der Sonne? Welche in der Nacht? Die Schüler sehen genau hin, greifen nach Karten, diskutieren (Abb. 5). Grün? Ja, ist im Sonnen-Gemälde. In der Nacht auch. Rosa, klar, in beiden. Schwarz auch. Vor beiden Gemälden liegt nun ein Spektrum an Farbkarten, und es sieht ziemlich ähnlich aus. Gibt es Unterschiede? „Wie wäre es, wenn wir mehr Kärtchen einer Farbe hinlegen, wenn diese Farbe öfter im Bild auftaucht?“ Wieder wird gelegt, überlegt, debattiert, sortiert. Es ergibt sich ein neues Bild, die beiden Kartenbilder sehen nun ganz anders aus.   

Surreale Dinge für Groß und Klein

Eine Ausstellung surrealistischer Objektkunst führt die Grenzen sprachlicher Kunstvermittlung ganz klar vor. Zu sehen sind Werke aus Alltagsgegenständen, die kombiniert, verfremdet, belebt, transformiert oder ihrer Funktion beraubt wurden. Die Surrealisten zielen mit solchen Objekten auf eine psychologische Wirkung: Die Kunst soll sinnlich, spielerisch und verführerisch sein, und sie soll den Betrachter überraschen oder gar schockieren – man denke an Dalís Hummertelefon oder Meret Oppenheims Fellhandschuhe.  Über solche Werke zu reden oder zu schreiben birgt stets die Gefahr, sie kaputtzureden – als ob man einen Witz erklären wollte. Wolfgang Paalens „Ausgesprochene Wolke II“ (Abb. 6) gehört dazu, es besticht in ihrer formalen Einfachheit und inhaltlichen Klarheit: Ein Regenschirm, der aus Schwamm gefertigt scheint. Alles klar. Und dennoch wollten wir mit Kindergartenkindern klären, wie der Künstler vorgeht und welches Prinzip dahintersteckt. Die KunstpädagogInnen haben sich für eine künstlerisch-praktische Umsetzung entschieden: Sie stellen jede Menge Schwammtücher bereit und Pappbecher, die damit beklebt werden sollen. Damit konzentrieren sie sich auf die Materialität, und darauf, einen Gegenstand mit Material zu verwandeln. Er verliert seinen Gebrauchszweck, wird unsinnig gemacht, und das verstehen die Kinder sofort: „Den Becher werde ich meinem Bruder beim Abendessen hinstellen, hihi.“

 

Surreale Propheten (Kita)

Die Kinder sitzen auf dem Boden vor dem Werk, Max Ernsts „Habakuk“ (Abb. 7), bewaffnet mit kleinen Scheren. Auf Papierbögen ist die abstrakte Prophetenfigur vorgezeichnet, und sie schneiden sie aus. Jeder hat seinen eigenen Propheten. Was soll er sagen? Was ist so wichtig, dass es endlich einmal ausgesprochen werden muss? Was verweist auf die Zukunft? Die Kinder reden darüber, manche versuchen einander mit spektakulären Aussagen zu übertreffen, andere sind still, denken vorsichtig darüber nach. Nachdem die Figuren ausgeschnitten und mit einem kleinen Holzspieß versehen wurden, kann jedes Kind seinen Propheten in der Hand halten. Nun sollen sie sprechen. Ein kleiner Hocker dient als Podest, und nacheinander steigen die Kinder hinauf, halten ihren Propheten in die Höhe und lassen ihn etwas sprechen. Wunderschöne, ganz intensive Aussagen, die genau so gesagt werden müssen. 

Diese Beispiele zeigten kleine 10-15 Minuten-Einheiten… aber das „Sprechen“ von Kunst aus, mit Kunst und um Kunst herum kann auch deutlich über die kurze Begegnung mit dem Werk hinausgehen:

Ein Einkaufszentrum wird surreal (Sekundarstufe I und II)

Das Schaufenster ist mit Spiegelfolie abgeklebt, nur an wenigen Stellen bleiben Durchblicke, die von goldenen Rahmen umfasst werden. Wer also durch das Einkaufszentrum „MyZeil“ spaziert, den architektonisch spektakulären Mittelpunkt der Frankfurter Fußgängerzone Zeil, muss sich bemühen, hier etwas zu sehen. Und hinter dem Glas sind keine schicken Schuhe zu sehen, nicht die neuesten Handys, keine trendigen Sportartikel. Stattdessen zwei ganz normale Gießkannen, übereinander angeordnet, das Wasser fließt von der oberen in die untere und wieder zurück. Eine Störung? Mitten im Leben – Kunst?

Nur wer lange genug sucht, findet ein paar Hinweise auf das kunstpädagogische Projekt, das hier stattfindet. Anlässlich der Ausstellung „Surreale Dinge“ dachten wir darüber nach, dass die surrealistische Bewegung ja in die Welt hineinwirken wollte, nicht im Museum bleiben wollte. Und so haben wir nicht nur ein paar Schüler mit Kunstwerken zusammengebracht, sondern mehr als dreihundert. Sie wurden mit den Prinzipien des Surrealismus vertraut gemacht, besuchten gemeinsam die Ausstellung und gingen dann raus ins Einkaufszentrum (das Partner des Projekts war). Dort überlegten sie, wie man Dinge verfremden kann, wie man Betrachter irritieren kann, wie man ihnen fast schon Schmerzen zufügen kann. Sie nahmen Artikel aus dem Einkaufszentrum, veränderten sie und inszenierten sie wieder an ihrem Ursprungsort: Da steht dann eine Schaufensterpuppe, die gar keine ist. Sie befindet sich vor einem Multimedia-Markt, erhält scheinbar eine Infusion aus Tasten und verwandelt sich in einen Roboter (Abb. 8) Oder man wird in ein Spiel mit der Wahrnehmung verstrickt: An einem verspiegelten Schaufenster (man kann also gar nicht reinschauen) finden sich Ausschnitte mit goldenem Rahmen (man will einen verstohlenen Blick hineinwerfen), und drinnen steht ein Penis-Kaktus (mit Nägeln als Nadeln; den will man vielleicht gar nicht sehen) (Abb. 9). Und auch der Campingtisch mit Teller und Brot lädt nur auf den ersten Blick zum Zubeißen ein (Abb. 10).
 

 

Man kann also so sehr von Kunst angesprochen werden, dass man selbst ins „Sprechen“ (bildlich verstanden) kommt. Dass die Bewegung weitergeht. Eine Bewegung von Kunst aus, mit Kunst und um Kunst herum. Die Sie angeregt haben, indem Sie auf das Sprechen der Bilder vertraut haben und das pädagogisch genutzt haben.

 

 
Literatur
 
Kemp, Wolfgang: Der Betrachter ist im Bild. Kunstwissenschaft und Rezeptionsästhetik. Köln: DuMont, 1985.
Kirschenmann, Johannes; Schulz, Frank: Bilder erleben und verstehen. Einführung in die Kunstrezeption. Leipzig [u.a.]: Klett, 1999.
Peters, Maria: Blick, Wort, Berührung. Differenzen als ästhetisches Potential in der Rezeption plastischer Werke von Arp Maillol und F. E. Walther. München: Fink, 1996.
Schulz von Thun, Friedemann: Miteinander reden. Fragen und Antworten. 3. Aufl. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verl, 2010.
Sturm, Eva: Im Engpass der Worte. Sprechen über moderne und zeitgenössische Kunst. Berlin: Reimer, 1996.
Sturm, Eva: Von Kunst aus. Kunstvermittlung mit Gilles Deleuze. Wien [u.a.]: Turia + Kant, 2011.
Uhlig, Bettina: Bildgespräche mit Kindern. Überlegungen zur Methodik und Didaktik des dialogischen Bildverstehens. In: Kirschenmann, Johannes (Hg.): Reden über Kunst. Fachdidaktisches Forschungssymposium in Literatur Kunst und Musik. München: Kopaed, 2011.

 



Zitationsvorschlag:

Hofmann, Fabian: Von Kunst aus, mit Kunst und um Kunst herum - Bildsprache und Bildgespräche.
In: Frank Schulz und Iris Seumel (Hg.): U20. Kindheit Jugend Bildsprache. München: kopaed, 2013, S. 555–565.